Das gestrige 1. Münchner Kapitalmarkt Kolloquium war mit über 250 Besuchern im Hotel Bayerpost Sofitel ausgebucht. Das neue Tagungsformat beschäftigt sich mit Digitalisierung und Innovation in der Finanzindustrie. Das Tagungsthema “Künstliche Intelligenz, Automatisierung und Intuition: Wie verändern sich Dienstleistungen und Arbeitsplätze in der Finanzindustrie?” wurde in vier Vorträgen und einer Podiumsdiskussion diskutiert.
Carsten Eckert, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von Insticube, stellte eine neue Form der Transparenz für den Markt der Institutionellen Kapitalanlage vor. Spezialfonds sind nicht wie Publikumsfonds öffentlich einsehbar, allerdings sind sie das Vehikel für Großanleger wie Pensionskassen, Versicherungen, Gewerkschaften oder kirchlicher Einrichtungen. Insticube bietet eine einzigartige Datenbank, wo aktuell 612 Institutionelle Anleger Feedback zu 15.150 Mandate bei 449 Asset Managern geben. Insgesamt wird hierdurch eine völlige Transparenz für ein Anlagevolumen von 2,3 Billionen Euro geschaffen. In den letzten 3 Jahren ist der Anteil passiver Investments von 18% auf 38% angewachsen. Interessanterweise sind jedoch die Gebühren nur auf Platz 10 der wichtigsten Entscheidungskriterien. Auf Platz 1 liegt erwartungsgemäß die Performance des Fonds, gefolgt von der Transparenz des Investmentprozesses und der Berücksichtigung der kundenindividuellen Anlagevorgaben. Das unwichtigste der insgesamt 12 Kriterien ist die Größe der Produktpalette. Institutionelle Anleger sind sehr offen für Investmentboutiquen, die sich auf bestimmte Bereiche spezialisiert haben. Im Austausch für die Bewertung von Asset Managern erhalten Institutionelle Anleger die Einschätzung ihrer Peergroup und können dadurch ihre eigene Sicht reflektieren. Die Datenbank bietet auch sehr interessante Empfehlungen, weil sich die Institutionellen Anleger auch über die interessantesten Pitches austauschen.
Dr. Lothar Jonitz, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von tetralog, präsentierte eine umfassende Portfoliomanagementlösung, die Anlageberater an der Kundenschnittstelle unterstützt. Sein Unternehmen war 1995 das erste, das den Algorithmus des Nobelpreisträgers Harry Markowitz in eine Software integrierte und damit “optimale” Portfolios für die Anleger berechnete. Anlageberater können das Anlageuniversum bestimmen und zusammen mit dem Kunden ein individuelles, effiziente Portfolio konstruieren. Durch die Verwendung eines state-of-the-art Algorithmus mit einer Live-Implementierung kann der Berater sehr überzeugend verkaufen. Die Rolle des tatsächlichen Anlageberaters übernimmt der Algorithmus, allerdings werden die Parameter durch den Berater gesteuert, der auch mehr Zeit für die Kundenansprache gewinnt.
Prof. Dr. Stefan Mittnik, Inhaber des Lehrstuhls für Finanzökonometrie an der LMU München und Mitgründer des führenden Robo-Advisors Scalable Capital, präsentierte anschließend seine Einschätzung zu “Digitalen Anlagelösungen in Europa: Status Quo und Ausblick”. Banken stehen aktuell vor sehr großen Herausforderungen wie Niedrigzins, Regulierungsdruck, Reputationsproblemen und alten IT-Systemen. Dadurch wird die Kundenbetreuung zunehmend erschwert. Junge Fintech Unternehmen können deswegen relativ leicht moderne Angebote schaffen, die einen deutlich höheren Kundennutzen erzeugen. Den etabilierten Banken bleiben laut Stefan Mittnik nur die 4 K-Strategien: Kopieren, Kooperien, Kaufen oder Kapitulieren. Scalable Capital ist mit 80 Mitarbeitern, mehr als 30.000 Kunden und über 1 Milliarde Euro Kundenvermögen der führende Online-Vermögensverwalter in Europa. Zwar wächst man schneller als die US-Pioniere Wealthfront und Betterment, allerdings haben diese 8-fach bzw. 11-fach so viel Anlegergelder in der Verwaltung. Die größten Anbieter sind jedoch keine Start-Ups, sondern Ableger etablierter Unternehmen wie Vanguard Personal Advisor Services (100 Mrd. USD) oder Charles Schwab Intelligent Portfolio (27 Mrd. USD). Neben der direkten Vermögensverwaltung bietet Scalable Capital seine Plattform auch als White Label Service an, um mit etablierten Banken zu kooperieren.
Björn Torkar, Geschäftsführender Gesellschafter von Privé Technologies, zeigte die großen Trends der letzten Jahre in der IT auf. Mobile Endgeräte werden inzwischen in Deutschland von 39% der Menschen für den Internetzugang verwendet. Zwei Drittel aller 16- bis 74-jährigen tätigt bereits Käufe online. Ende 2017 haben mobile Endgeräte erstmals weltweit den Desktop beim Online-Shopping überholt. 51% aller Deutschen sind “aktive User” bei Sozialen Medien. Die Verbreitung von Technologien wird zudem immer schneller. Während das Telefon noch 75 Jahre für 50 Millionen Nutzer benötigte, schaffte die Pokémon Go App die gleiche Reichweite in zwei Wochen. Die digitale Gesellschaft agiert, kommuniziert und existiert online und offline. In diesem Umfeld verändert sich die Finanzindustrie komplett. Die Filiale verliert an Bedeutung, während digitale Kanäle immer wichtiger werden. Die größte Bedrohung kommt von Google, Apple, Facebook und Amazon, die alle bereits eigene Finanzdienstleistungen angekündigt haben. Kunden wünschen heute Individualität (Mass Customization). Die “User Experience” steht im Vordergrund. Die Kundeninteraktion muss Live und Mobile Messaging ermöglichen, genauso wie Video Conferencing und am besten auch Gamification. Im Jahr 2017 bevorzugen nur noch 17% der Kunden eine Offline-Beratung, dagegen 42% eine hybride Beratung (Face-to-Face und digital). Immerhin schon 43% wollen nur eine rein digitale Beratung.
Abschließend fand eine Podiumsdiskussion statt, die sich mit der Frage beschäftigte, welche Jobs zukünftig in der Finanzindustrie von Robotern und welche von Menschen übernommen werden. Neben Stefan Mittnik, Carsten Eckert und Björn Torkar saß auch Dr. Jochen Papenbrock auf dem Podium. Er studierte und promovierte in Informatik am Karlsruher Institut für Technologie, bevor er sein Unternehmen Firamis gründete, das auf AI im Finanzbereich spezialisiert ist. Künstliche Intelligenz ist heute aufgrund der Open Source Bewegung für jedermann zugänglich (Jochen Papenbrock) und wird dadurch immer relevanter. Gleichwohl gibt es derzeit einen sehr großen Hype zu diesem Thema, trotz oder weil viele Führungskräfte keine profunden Kenntnisse der Materie haben (Björn Torkar). Eine immer größere Quote passiver Anlageformen sowie ein starker Regulierungsdruck führen zu einem Gleichlauf und damit zu einem größeren Rückschlagspotential der Märkte (Stefan Mittnik). Wenn hier individuelle Portfolios durch KI gebildet werden, sinkt das Risiko eher. Die Validierung von Daten ist entscheidend bei der Weiterverarbeitung durch Computersysteme (Carsten Eckert). Ein wichtiges Kriterium bei der Akzeptanz von KI ist die Kontrolle durch den Menschen (Human Centered AI). Gerade Aufsichtsbehörden und Kunden wollen Entscheidungen verstehen, weswegen es starke Bestrebungen zu einer Explanaible AI gibt (Jochen Papenbrock).