Am 18. November 2019 fand das 2. Münchner Kapitalmarkt Kolloquium im Sofitel Munich Bayerpost mit 282 Besuchern statt. Das Thema der Fachtagung lautete „Nachhaltigkeit als Handlungsprinzip in der Finanzindustrie: Neue Ansätze für Kapitalallokation und Risikobewertung“. Die Veranstaltung richtet sich sowohl an Entscheidungsträger aus dem Bereich Kapitalanlage (Publikumsfonds und Spezialfonds) als auch Vertreter der Fachlichkeit von IT-Vendoren, die Prozesse für die Auswahl von Finanzprodukten oder für die regulatorische Berichterstattung unterstützen. Deswegen wurden jeweils zwei Vorträge in zwei Streams („Asset Management“ und „Data & Technology“) präsentiert.
Im Bereich “Asset Management” zeigte zunächst Prof. Dr. Christian Schmitt (Hochschule der Bayerischen Wirtschaft) die Herausforderungen und Lösungsansätze für ESG Benchmarks auf. Die Korrelation unterschiedlicher Anbieter von ESG (Environmental – Social – Governance) Daten ist mit 0,2 sehr gering. Dies kann dadurch erklärt werden, dass es sehr viele Betrachtungsweisen zu diesem Thema gibt und eine Vereinheitlichung sehr schwierig ist. Der aktuell größte Anbieter von ESG Daten Refinitiv liefert mehr als 400 Datenpunkte zu 6000 Unternehmen. Wie kann man eine gute Unternehmensführung über alle Branchen vergleichen? Welcher Standard gilt bei der Bewertung der Arbeitsbedingungen? Antworten auf diese Fragen sind komplizierter als die bloße Bewertung der Finanzkraft einer Bilanz.
Anschließend präsentierte Ivan Domjanic von M&G Investments zum Thema „Positive Impact – Aktien für eine bessere Welt“. Er gab einen Überblick über das Marktwachstum unterschiedlicher Nachhaltigkeitsansätze. Die mit Abstand größten Segmente sind solche Fonds, die einzelne Sektoren ausschließen („Sektor-Filter“) oder in der Auswahl der Aktien zusätzlich ESG-Daten berücksichtigen. Stets liegt der Fokus auch auf einer ordentlichen Gesamtrendite. Investitionen „für das Gute“, sogenanntes Impact Investing, ist ein sehr geringer Anteil. Die Investmentindustrie klassifiziert ihre Strategien nach den 17 Kriterien der „UN Sustainable Development Goals“, weil diese den kleinsten gemeinsamen Nenner aller ESG Initiativen darstellen. Hierunter fallen Ziele wie „Gender Equality“, „Clean Water and Sanitation“ oder „Peace, Justice and Strong Institutions“.
Den ersten Vortrag im Stream „Data & Technology“ hielt Philipp Lesche (CDF Technologies) zum Thema „Die Nutzung neuer Technologien, um nachhaltige Investments zu fördern“. Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz können Strukturen in Daten erkannt werden und Investments klassifiziert werden, die bislang zu wenig Beobachtung hatten, etwa Investitionen in Venture Capital. Es kann früh erkannt werden, ob diese Unternehmen Ähnlichkeiten zu nachhaltigen Investments im Bereich Large Caps haben. Außerdem ist die Blockchain-Technologie sehr vielversprechend für das Thema Nachhaltigkeit. Hierüber können Illiquide Assets handelbar gemacht werden oder Zugänge für Menschen geschaffen werden, die heute noch vom Finanzsystem ausgeschlossen sind („Banking the unbanked“). Zwar verursacht das Mining von Bitcoin so viel Strom wie das Land Dänemark, allerdings ist dieses besonders schlechte Beispiel ein spezifisches Bitcoin Problem und darf nicht auf die Blockchain-Technologie verallgemeinert werden. Mit Hilfe einer Blockchain kann insbesondere Vertrauen in Ländern technisch erzeugt werden, die heute über keine vertrauenswürdigen Institutionen verfügen. So können Investitionen zur CO2 Reduktion in Afrika abgesichert werden, die dort einen deutlich höheren Wirkungsgrad haben als zum Beispiel in Deutschland.
Anschließend präsentierte Dr. Lothar Jonitz von tetralog systems zum Thema „ESG in der Anlegerprofilierung und Konsequenzen für die software-gestützte Portfolioberatung“. Er zeigte Wege auf, wie qualitative Ziele in der Anlegerprofilierung quantifiziert und damit im Anlageprozess anwendbar gemacht werden können. Die Selbsteinschätzung der Anleger ist grundsätzlich ein Problem, weil diese nicht die Realität abbildet. Regelmäßig schätzen sich die meisten Leute als überdurchschnittlich gute Liebhaber oder begabte Autofahrer, was offensichtlich ein statistischer Widerspruch ist.
Die abschließende Podiumsdiskussion bot die Gelegenheit, offene Fragen im Publikum durch Fachleute beantworten zu lassen. Helmut Kotschwar (EB-SIM) und Ivan Domjanic (M&G) erläuterten, warum Investoren in nachhaltige Investments keine Renditenachteile befürchten müssen. Wenn das Anlageuniversum nicht total eingeschränkt wird, finden sich immer noch Aktien für eine gute Performance. Insbesondere in Abschwungphasen verlieren nachhaltige Unternehmen weniger, was sich langfristig auszahlt. Durch die aktuelle Ausrichtung vieler Portfolios auf das Thema Nachhaltigkeit gibt es außerdem kurzfristig noch einen Rendite-Rückenwind. Björn Torkar (Privé Techologies) digitalisiert mit seinem Unternehmen Großbanken und arbeitet daher an der Schnittstelle zu Privatkunden. Er berichtet, dass aktuell noch sehr wenige Investments nachhaltig sind, was aber eher auf zu wenig Angebot zurückzuführen ist. Durch die Fridays for Future Bewegung gibt es in der Gesellschaft ein großes Interesse an dem Thema. Weil sein Unternehmen auch ein Großteil des Geschäfts in Asien hat, konnte er berichtet, dass sich dort fast niemand für Nachhaltigkeit interessiert. Benjamin Ackermann gab als Vertreter des größten ESD Datenanbieters Refinitiv Einblick in die Kundenstruktur. Viele seiner Kunden entwickeln eigene Bewertungsmodelle für ihre Investments und nehmen keine ungeprüften Empfehlungen.